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Schneegestöber

SchneeGestöber 7 2017/18 | Heimtückische Schwachschichten durch „Kalt auf Warm“

Ein Markenzeichen des Winters 2017/18

von Lukas Ruetz 30.03.2018
Lukas Ruetz
In der laufenden Saison war es auffallend häufig im besonnten Gelände gefährlicher als im schattigen. Dies hängt mit einer speziellen Form der Schwachschichtbildung zusammen, die als „Gefahrenmuster kalt auf warm“ bezeichnet wird.

Der schneereiche Winter 2017/18 neigt sich seinem Höhepunkt zu. Bodennahe Schwachschichten aus dem Herbst oder Frühwinter waren de facto kein Thema. Trotzdem gab es immer wieder Zeiten, in denen das Altschneeproblem ausschlaggebend für die Tourenplanung war. Nicht durch einen deep persistent weak layer sondern durch einen persistent weak layer, wie es die Amerikaner bezeichnen würden. Diese aufbauend umgewandelten Schwachschichten – das sind persistente, im Vergleich zur Schwachschicht „Pulverschnee“ wesentlich länger anhaltende Schwachschichten aus kantigen Kristallen oder Schwimmschnee – entstehen fast immer durch kurzfristige Temperaturänderungen auf kleinem Raum in den oberflächennahen Schneeschichten. Und sind durchaus giftig für uns Wintersportler.

Auf Krustenjagd

Oberflächennahe, aufbauend umgewandelte Schwachschichten entstehen fast immer im Bereich von Schmelzkrusten. Aber Achtung: Nicht die Schmelzkruste ist das Problem sondern die Schwachschicht die sich darüber oder darunter ausbildet. Denn in der Schwachschicht brechen die Kristalle auseinander und trennen die Schneedecke anschließend in das abgleitende und uns verschüttende Schneebrett oberhalb der Schwachschicht und die für uns unwichtige Gleitfläche unterhalb der Schwachschicht.

Schwachschicht und Schmelzkruste gehen oft Hand in Hand – nicht nur beim Auslösemechanismus. Schwachschichten aus kantigen Kristallen bilden sich zusätzlich häufig im Bereich der Krusten. Und hier kommt das Gefahrenmuster „Kalt auf warm“ ins Spiel. Ist die Schneeoberfläche schwach feucht, egal ob durch Strahlung, warme Temperaturen oder Regen, und wird anschließend durch eine hereinziehende Kaltfront von wesentlich kälterem, lockerem Pulverschnee bedeckt, bildet sich ein großer Temperaturunterschied zwischen Altschneeoberfläche und Neuschnee aus. Dieser Temperaturunterschied von der 0°C warmen Altschneeoberfläche (genau 0°C weil eben schwach feucht) und dem bspw. -10°C kalten Neuschnee auf wenigen Millimetern ist ausschlaggebend für eine sofort einsetzende und sehr heimtückische Schwachschichtbildung. Je stärker die Schneeoberfläche durchfeuchtet ist, desto stärker wird die Schwachschichtbildung ausfallen. Ist die Altschneeoberfläche nur knapp 0°C warm und nicht feucht, findet ebenfalls eine Schwachschichtbildung statt, allerdings nicht so stark wie mit Feuchtigkeitsanteil.

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Innerhalb von ein, zwei Tagen entsteht in diesem Grenzbereich eine Schwachschicht aus kantigen Kristallen, die auch aufgrund ihrer geringen Mächtigkeit (meist nur 1 oder 2cm dick) brandgefährlich ist. Gleichzeitig bildet sich unterhalb dieser Schwachschicht auf der ehemaligen Altschneeoberfläche eine Schmelzkruste aus. In diesem Fall ist die Schmelzkruste nicht ausschlaggebend für den Auslösemechanismus, da sie sich unterhalb der Schwachschicht befindet und somit bei einem potentiellen Lawinenabgang als Gleitfläche dienen wird. Und die Gleitfläche ist für uns im Hinblick auf Schneebrettlawinen uninteressant – es geht immer um die Schwachschicht und das darüber liegende Schneebrett bzw. wie die beiden zusammenspielen. Befindet sich die Schmelzkruste oberhalb der Schwachschicht, hilft sie beim Auslösevorgang der Lawine mit: Sie fördert durch ihre Festigkeit die Möglichkeit zur Bruchausbreitung und ermöglicht so das Brechen der Schwachschicht auf einer größeren Fläche.

Daneben gibt es die Möglichkeit, dass sich bereits vor Neuschneefall die Schmelzkruste ausbildet – und zwar durch sinkende Temperaturen oder nächtliche Ausstrahlung vor Einsetzen des Niederschlags. Eine Schmelzkruste ist durch die hohe Dichte und den geringen Luftanteil im Verhältnis zu anderen Schneearten ein hervorragender Wärmeleiter. Sie kühlt sehr gut aus. Die Schneeoberflächentemperatur, also die Temperatur der oberflächlichen Schmelzkruste liegt damit weit unter 0°C – gleichzeitig bleibt die Schneetemperatur aber wenige Zentimeter darunter relativ warm. Der Temperaturgradient ist wieder stark ausgeprägt. Eine Schwachschicht entsteht. Dieses Mal unterhalb der Schmelzkruste. Die Schmelzkruste allein ist dann aber meist nicht geeignet für ein Schneebrett. Erst wenn es in weiterer Folge drauf schneit – auch ohne Wind – passen die Zutaten für eine Schneebrettlawine: Eine dünne, giftige Schwachschicht befindet sich dann unterhalb einer Bruchausbreitung-begünstigenden Schmelzkruste. Diese ist wiederum von Neuschnee, der durchaus toll zum Skifahren sein kann, überlagert. Schmelzkruste und Neuschnee zusammen bilden das ideale Schneebrett.

Der Lawinenwarner ist durch dieses Zusammenspiel häufig ein Krustenjäger. Kennt man die Höhenbereiche und Expositionen, in denen sich eine Schmelzkruste ausgebildet hat, kann man den Problembereich der oft dazu gebildeten Schwachschicht eingrenzen. Interessant ist dies v.a. bei Regenereignissen: Wie weit hat es wo hinauf geregnet? Wie weit hinauf wurde die Schneeoberfläche feucht? Für uns ist daraus folgende Erkenntnis wichtig: Bei Bildung solcher Schwachschichten müssen wir uns einfach von gewissen Expositionen in gewissen Höhenbändern fernhalten. Beispielsweise zwischen 2200m und 2600m in sehr steilen Südhängen. Und: Die Regengrenze im Hochwinter sollte man immer dem zuständigen Lawinenwarndienst melden.

Meist sonnseitiges Gelände betroffen

Normalerweise lernt man: Aufbauend umgewandelte Schwachschichten findet man hauptsächlich in Schattenhängen. Dies trifft primär für schneearme Winter bzw. in inneralpinen Gebieten Winter für durchschnittlichen Schneemengen zu. In Wintern mit viel Schnee gibt es selten bodennahe Schwachschichten in Schattenhängen, allerdings ist das Gefahrenmuster „Kalt auf warm“  wesentlich häufiger für relevante Schwachschichten verantwortlich. Dies hängt mit dem ständigen Auf und ab der Temperaturen zusammen, also kalt auf warm oder warm auf kalt.

Das Gefahrenmuster bildet aufbauend umgewandelte Schwachschichten meist im besonnten Gelände aus, vor allem im Hochwinter. Die Lufttemperatur ist für eine oberflächliche Durchfeuchtung der Schneedecke nur in sehr tiefen, skifahrerisch weniger geeigneten Lagen hoch genug. Somit ist die direkte Sonnenstrahlung bei Schönwetterphasen häufig der ausschlaggebende Punkt: erwärmt bzw. durchfeuchtet sie die Schneeoberfläche, sind die Voraussetzungen für die oben beschriebene Schwachschichtbildung gegeben. Dies ist bis in den März hinein  meist nur in Steilhängen des Südsektors der Fall.

Lawinenauslösung am Tag der Profilaufnahme im Nahbereich des Profilhangs durch diese Schwachschicht.

Lawinenauslösung am Tag der Profilaufnahme im Nahbereich des Profilhangs durch diese Schwachschicht.

Lukas Ruetz

Winter 2017/18

In der laufenden Saison gab es in Tirol bereits vier stärker ausgeprägte Phasen mit der Bildung einer Schwachschicht durch „Kalt auf warm“

  • Anfang Dezember in steilen Südhängen um 2200m.
  • Ende Dezember im Südsektor (= Südwesthänge, Südhänge und Südosthänge) zwischen 2200m und 2700m. Diese Schwachschichten wurden Ende Jänner in der extremen Schneefallperiode wieder aktiviert. Das heißt, die Auflast durch großen Neuschneemengen wurde auf die inzwischen wieder etwas verfestigten Schwachschichten zu groß und es kam wieder zu Schneebrettlawinen aufgrund dieser Schichten.
  • Das größte Problem hat sich schließlich Mitte Feber ergeben: Ende Jänner warme Schönwettertage mit Krustenbildung in steilen Sonnenhängen, anschließend etwas Neuschnee, anschließend wieder warme Schönwettertage mit neuerlicher Krustenbildung, gefolgt von sehr kalten Temperaturen. Zwischen den beiden Krusten hat sich der Pulverschnee sehr schnell aufbauend umgewandelt und wurde nach neuerlichem Schneefall, also der Ausbildung des Schneebretts, zu einem markanten Problem für den Skifahrer in steilen Südhängen um 2700m. Ende Feber, als die Konstellation Schwachschicht – Schneebrett anschließend perfekt harmoniert hat, sind aufgrund dieser Schicht zahlreiche Lawinenauslösungen vorgefallen.
  • Die vorerst letzte Phase von Schwachschichtbildung durch „Kalt auf warm“ hat sich Mitte März eingestellt. Der LWD Tirol schreibt dazu: „Die Verbreitung der aufbauend umgewandelten Schwachschicht hängt primär von der Existenz von Schmelzkrusten, sekundär dann von der Seehöhe, Hangneigung, als auch Exposition ab. Schattseitig dürfte es ein nur eng begrenztes Höhenband zwischen etwa 2100m-2300m betreffen. Mit zunehmender Seehöhe findet man diese Schwachschichten dann in anderen Expositionen und Höhenbändern. Anfangs sind es sehr steile Hänge, die Richtung NW und NO ausgerichtet sind, dann werden diese durch W- und O-Hänge abgelöst, hochalpin kommen dann auch S-Hänge dazu.“ Die Verbreitung der Schmelzkrusten bzw. der Schwachschichten ist in diesem Fall auf ein Zusammenspiel aus Lufttemperatur, diffuser sowie direkter Sonnenstrahlung zurückzuführen. Die Verbreitung der Schichten konnte wieder nach Exposition und Höhenlage eingegrenzt werden.

Neuerlich gebildete Schwachschichten durch „Kalt auf warm“ sind nicht auszuschließen, der primär betroffene Bereich wird sich tendenziell nach oben und in Schattenhänge verlagern. Die Strahlung wird nämlich mit zunehmend höherem Sonnenstand derart stark, dass oberflächennahe Schwachschichten in Südhängen in kürzester Zeit durch den massiven Wärmeeintrag wieder zerstört werden.

Merke: Aufbauend umgewandelte, am Boden gebildete Schwachschicht = persistent, länger anhaltend. In der Atmosphäre gebildete Schwachschicht (Pulver, Graupel) = nicht persistent, nur wenige Stunden bis Tage problematisch. Aufbauend umgewandelte, persistente Schwachschicht durch "Kalt auf warm häufig" in steilen Sonnenhängen!

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