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Hartnäckig hält sich so einiges in der Schnee- und Lawinenkunde, das man durchaus als falsch einordnen kann oder zumindest relativieren muss. Auch Fehlverständnis von komplexen Zusammenhängen spielt in dieser Hinsicht eine Rolle. Wir räumen mit einem Teil davon auf und erklären, was man stattdessen abspeichern sollte.
Hartnäckig hält sich so einiges in der Schnee- und Lawinenkunde, das man durchaus als falsch einordnen kann oder zumindest relativieren muss. Auch Fehlverständnis von komplexen Zusammenhängen spielt in dieser Hinsicht eine Rolle. Wir räumen mit einem Teil davon auf und erklären, was man stattdessen abspeichern sollte.
Die Bodentemperatur beim Einschneien wirkt sich in erster Linie auf die Gleitschneelawinenaktivität aus. Der Einfluss auf sonstige lawinenbildende Faktoren kann in der Praxis vernachlässigt werden. Ein gefrorener Boden taut kurz nach dem Einschneien wieder auf und gibt Wärme an die Schneedecke ab. Deswegen hat die Schneedecke in Bodennähe immer eine Temperatur von 0°C oder nur knapp darunter.
„Gleiten" beschreibt bei einem Lawinenabgang den Vorgang wenn die Reibung im Verhältnis zu den hangabwärts treibenden Kräften geringer ist. Gleitschneelawinen gleiten demnach ab und sind dadurch auch niemals durch eine Zusatzbelastung bzw. einen Impuls auslösbar. Schneebretter gleiten im Endeffekt auch ab, aber man kann sie auslösen, weil zuerst ein Bruch die Möglichkeit zum Abgleiten ebnet. Das Schneegerüst bricht an einer Stelle (Auslösepunkt) und der Bruch pflanzt sich im Lawinenfall weiter fort. Für die Vorstellung: Man wirft einen Stein in einen ruhigen See, der Bruch breitet sich in mehrere Richtungen wie eine Welle aus. Auch Dominosteine helfen für die Abstraktion im Kopf. Ist das Zeug einmal auseinander gebrochen, kommt das Gleiten ins Spiel: Ist die jetzt entstehende Reibung zwischen Schneebrett und Untergrund größer als die hangabwärts gerichtete Kraft (meist bei Hängen unter +/- 30° Neigung), bleibt die Schneetafel, die aus dem Gefüge herausgebrochen ist, liegen. Ist die Reibung geringer als die hangabwärts treibende Kraft (ab ca. 30° Neigung), bewegt sich das Schneebrett nach unten. Der Bruch (und dessen Fortpflanzung) ist somit der Hauptverursacher der Schneebrettlawine. Brüche erzeugen wir fast bei jedem Schritt im Schneegefüge. Ohne Bruchfortpflanzung über größere Strecken und die erforderliche Steilheit gibt es noch keine Lawine. Deswegen sind Stabilitätstests, die nur die Schwachschichten aber nicht die Bruchfortpflanzungstendenz herausarbeiten (z.B. der CT - Kompressionstest), für die Abschätzung der Lawinengefahr nur bedingt geeignet.
Die Gefahrenstufe ist die größtmögliche Abstraktion einer komplexen Situation auf mindestens hundert Quadratkilometern. Sie fasst die Häufigkeit und die Auslösewahrscheinlichkeit von Gefahrenstellen (= Stellen wo Lawinenauslösungen denkbar sind) zusammen. Bei der gleichen Gefahrenstufe können sich die Gefahrenstellen in jeweils ganz anderen Expositionen und Geländebereichen befinden. Somit sagt die Stufe allein nichts über die Lawinensituation eines Einzelhanges aus. Nochmal: Die Gefahrenstufe - diese so einfach erscheinende aber eigentlich dubiose Zahl - sagt nichts über die Lawinengefahr des Einzelhanges aus! Vor allem bei den sportlich „brauchbaren" Gefahrenstufen (Gering, Mäßig, Erheblich) kann der Hang bei ein und derselben Stufe sicher befahrbar sein oder sich als lebensgefährlich präsentieren. Der Text im Lagebericht bzw. die Symbole für primär betroffene Expositionen, Höhenlagen und das vorhandene Problem bleiben um ein Vielfaches wichtiger als die Ziffer. Denn dort steht, wo sich die Gefahrenstellen befinden und wie leicht man sie stören kann. Damit plant man sein Tourenziel, weicht damit zu Hause schon den groben Problembereichen aus. Im Gelände geht es dann darum, die einzelnen Gefahrenstellen zu erkennen und damit den Problembereichen auszuweichen – oder umzudrehen.
Reine Triebschneeprobleme lassen sich mit Erfahrung recht gut managen, auch Nasschneesituationen in weiten Teilen. Wer nicht den nötigen theoretischen Background sein Eigen nennt, wird vor allem bei Altschneeproblemen an seine Grenzen stoßen. Altschneeprobleme können je nach Ausprägung an Setzungsgeräuschen, Rissbildungen, spontanen Lawinen erkannt werden, aber sie können im Gelände auch gar nicht sichtbar/fühlbar/hörbar sein – und sich damit den Erfahrungswerten entziehen. Hier hilft nur das Studium des Lawinenlageberichts und die Erkenntnis, dass nicht alle Gefahren hilfsbereit sind und uns im Gelände (ohne in die Schneedecke zu schauen) ihre Zeichen setzen. Das vollständig „versteckte" Altschneeproblem ist nicht umsonst dafür bekannt, besonders erfahrenen Wintersportlern das Leben zu nehmen. Eine Liaison aus fundiertem Wissen und richtig interpretierter Erfahrung bleibt das Um und Auf.
Die stark unregelmäßige Struktur von Gletschereis und die aus der Nähe betrachtet ebenfalls unregelmäßige Struktur von Felsplatten genügt vollkommen, um der Schneedecke „Halt" zu geben. Schneebrettlawinen, bei denen solche glatt wirkenden Untergründe zum Vorschein kommen, fußen in den allermeisten Fällen an untergrundnahen Schwachschichten. Die Schneekristalle der Schwachschicht rutschen auf der sogenannten Gleitfläche mit ab, also in diesem Fall dem Untergrund. Das Problem liegt dabei jedoch an der Schwachschicht und nicht an der Grenze Untergrund-Schneedecke (ausgenommen Gleitschneelawinen). Als Gleitfläche kann auch eine darunter liegende, härtere Schneeschicht dienen. Das Problem geht aber von einem Bruch in der Schwachschicht darüber aus, nicht von der Gleitfläche. Das Schneebrett samt Schwachschicht gehen sodann auf der Gleitfläche ab.
Die Lawinengefahr ist bei viel Neuschnee erhöht. Tendenziell gilt jedoch: mächtige Altschneedecke – geringere Lawinengefahr. Schwachschichten bilden sich aufgrund von weniger stark ausgeprägten Temperaturunterschieden in einer mächtigen Schneedecke seltener aus.
Das hängt von den Rahmenbedingungen ab. Meist jedoch negativ: Zum einen wegen dem kurzfristigen Festigkeitsverlust – zum anderen wegen begünstigter Schwachschichtbildung durch markante Temperatursprüngen in der Schneedecke.
Ja, aber eben nur den sichtbaren Teil der Strahlung. Langwellige Strahlung, die einen beachtlichen Teil der Energie zuführt („Wärmestrahlung"), wird vom Schnee fast vollkommen absorbiert. Deswegen setzt sich der Schnee in Sonnenhängen besser, kann auffirnen und durchfeuchtet auch bei diffusen Lichtverhältnissen.
Nein, gebundener Schnee (für ein Schneebrett nötig) kann so weich sein, dass man seine obszönen Pulverträume darin ausleben kann. Gebunden ? hart oder weich.
Grundsätzlich nein, nur in Verbindung mit darüber lagernden, härteren Schneeschichten sind aufbauend umgewandelte Schichten als negativ zu werten. Eine vollständig aufbauend umgewandelte Schneedecke („Grieß" = kantige Kristalle und Tiefenreif) kann sich wie Pulverschnee fahren lassen und muss bezüglich Lawinen kein Problem darstellen. Es kommt immer auf die Abfolge der (umgewandelten) Schneeschichten und den Grad an Homogenität in der Schneedecke an. Abbauend umgewandelter Schnee auf aufbauend umgewandeltem Schnee ist meist als schlecht zu werten. Aufgebaute Schichten an der Oberfläche stellen kein Problem dar.
Wer dies mit einer guten Tourenplanung und Gefahrenabschätzung kombiniert, fährt nochmal sicherer. Wer dies als einzige Prämisse verwendet, unterschreibt über kurz oder lang sein Todesurteil.
Auch unser derzeitiges Bild über Schnee und Lawinen stellt nur ein Konstrukt der Wirklichkeit dar. Einiges davon könnte sich zukünftig als falsch herausstellen oder wird anders erklärt werden.