Zum Inhalt springen

Cookies 🍪

Diese Website verwendet Cookies, die Ihre Zustimmung brauchen.

Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung

Zur Powderguide-Startseite Zur Powderguide-Startseite
Schnee von morgen

Schnee von morgen | Hallo Winter, wie geht es dir?

Ein Winter, der sich nicht danach anfühlt

von Jan Imberi 17.04.2023
Winter, wo bist du?

Winter, wo bist du?

Jan Imberi
Tête du Colonney
Es ist schwierig über den Winter zu schreiben, wenn er "nicht" existiert. Er wird zu einer Reminiszenz, die objektiv durch einen Vielzahl von Messungen und wissenschaftlichen Studien und Vergleichen gestützt wird, subjektiv jedoch von einem Gefühl genährt wird, dass zunehmend verblasst, je länger und öfter er ausbleibt. Zum Abschluss der Schnee von morgen Saison macht sich PGler Jan Gedanken über den vergangenen Winter, der keiner war, und jene, die noch kommen werden.

Nun ist es ja nicht so, dass der Winter komplett ausfällt. Und es ist auch unwahrscheinlich, dass dies in naher Zukunft gänzlich der Fall sein wird. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass es weiterhin eine Art kältere Phase geben wird, eben solange, bis die Erde irgendwann aus ihrer Achse kippt. Doch ob sich dieser "Winter" dann noch so anfühlt wir jener Winter, den wir aus unserer Erinnerung kennen, ist fraglich. 

Auch in diesem Jahr ist der Winter spät eingekehrt. Fehlende Niederschläge und zu hohe Temperaturen haben uns in Mitteleuropa lange auf Schnee warten lassen. Dem anfänglichen High des Saisonstarts folgte bald ein anhaltendes Stimmungs-Low. Dürren in Italien und rekordverdächtige Niederschlagsdefizite in Frankreich spiegeln die dünnen Schneelagen und aperen Berghänge, die uns auf unseren Suchen nach First Tracks und Pow Pow Schattenhänge überall begegnen.

Selbst auf auf 2000m wurde Schnee im wahrsten Sinn des Wortes zusammen gekratzt, um die Pisten zu den Liftanlagen zu erhalten. Hierfür zerwühlen Pistenbullies die Erde mit ihren Schaufeln und Ketten und zerstören empfindliche Ökosysteme. Sogar Helikopter werden mittlerweile zum Schneetransport in tiefere Lagen eingesetzt. Es gibt einen Ruf zu verlieren und die Angst von dem ökonomischen Ernstfall ist groß. Dass an Talabfahrten nur noch Wegweiser erinnern, wie Zeichen einer untergegangenen Epoche, daran haben wir uns bereits gewöhnt. Aber inzwischen wird es auch in den höheren Lagen knapp.

Der globale, fossile Einsatz für den verzweifelten Versuch, sich dem Wandel entgegen zu stemmen, lässt sich schwierig schätzen und wird auch nicht all zu gern kommuniziert. Das ist nachvollziehbar, denn das Image einer ganzen Branche hängt hiervon ab. Ein Mitarbeiter der Lenzerheide Bergbahnen AG, einem mittelgroßen Skigebiets aus Graubünden, bezifferte den Einsatz allein zur Präparation der Pisten auf 600.000 Liter Diesel pro Saison. Damit könnte ein Mehrfamilienhaus 30 Jahre mit Energie versorgt werden.

Der Footprint für einen Tag im Skigebiet beläuft sich auf auf ca. 49Kg CO2 inklusive An- Rückreis. Das ist viel wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Pro Kopf-Verbrauch laut Umwelt Bundesamt jährlich bei 11.2 Tonnen, also 30Kg pro Tag liegt. Ein Tag Skifahren erhöht unseren Footprint folglich um weitere 40%. Auch das zahlt in unsere CO2 Jahresbilanz ein, die in Deutschland pro Person ohnehin schon 60% über dem weltweiten Mittel liegt.

Doch neben all diesen Beobachtungen, Fakten und Zahlen, stellt sich die bewegende, subjektive Frage:

Was für ein Gefühl hinterlässt der Wandeln und das Ausbleiben des Winters bei uns?

Wie kommen wir damit zu recht, wenn Winter allenfalls noch kühlere Phasen sind, in denen es nur über 2500m noch flächendeckend Schnee gibt? Es ist nachvollziehbar, dass reflexartig der Fluchtinstinkt einsetzt und wir uns an Orte denken, die Garant für niedrige Temperaturen und viel Niederschlag sind. Aber das sind nur Symptome einer Entzugserscheinung und sie ändern nichts an der Tatsache, dass wir die Entwicklung nicht rückgängig machen können. Wir müssen uns daher fragen, welche Rolle wir in diesem Kontext zukünftig spielen wollen. Verweilen wir auf der Seite der Konsumenten oder werden wir aktiv und verzichten auf Annehmlichkeiten und Privilegien?

Es fällt mir schwer, das Gefühl zu beschreiben dass der Winter 2023/2023 bei mir hinterlässt. Ich bin unbefriedigt und ernüchtert, weil meine Sinne nicht in gewohnter Weise angesprochen werden und weil sich Vorstellung und Erlebnis nicht mehr decken. Mir fehlen die Trigger. Der gedämpfte Ton einer verschneiten Landschaft, der Geruch von Neuschnee, das Gefühl von Kälte, die meine Haut schneidet und das Licht der reflektierenden Schneefläche, das mich blendet. Der Winter konnte mir nur Bruchteile dieser tief verinnerlichten und assoziieren Empfindungen bieten. Folglich produziert mein Gehirn nicht ausreichend Endorphin und sorgt stattdessen dafür, dass ich mich unbefriedigt fühle.

Was lässt sich also tun, um dieses Gefühl zu verändern?

Darauf habe ich leider keine Antwort. Klar ist aber, dass sich unsere Einstellung und unser Handeln als Wintersportler grundlegend ändern müssen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, entsprechende Veränderungen herbei zu führen. Wahrscheinlich ist eine Kombination mehrerer Ansätze die erfolgsversprechendste. Ich bin der Überzeugung, dass Veränderung bei jedem einzelnen beginnt. Gewohnheiten aufzugeben und zu akzeptieren, damit „aus der Reihe zu tanzen“ ist sicherlich nicht immer einfach. Jedoch ist genau dieser Impuls ausschlaggebend für Veränderung.

Jan Imberi
Pointe Noire de Pormenaz

Ich denke, die Bürgerbewegung, die es seit den 70er Jahren gibt, hat viel erreicht, wird aber bis heute in wichtigen Bereichen blockiert, vor allem auch politisch. Je größerer die Gruppe wird, die Veränderung aktiv will, desto mehr stellt sich zwangsläufig Veränderung ein, weil sie eben Mehrheitsfähig wird und folglich politische Kraft bekommt. Das sehen wir ja heute bereits an vielerlei Beispielen.

Das eigentliche Problem jedoch ist viel tiefgreifender und von existentieller Natur. Der Mensch steht am Ende der Nahrungskette. Er verfügt über begrenzte Ressourcen, deren Erhalt seine Existenzgrundlage ist. Das soziale und wirtschaftliche System in dem er lebt, der Kapitalismus, basiert jedoch auf der Annahme und dem Prinzip von stetigem Wachstum und Gewinnsteigerung. Ein Prinzip, dass mit nachhaltigem Wirtschaften nicht vereinbar ist, denn letzteres erzeugt keinen Gewinn. Die Annahme, dass wir uns mit einem grünen, kapitalistischen Wirtschaftssystem aus der Krise manövrieren können, ist ein Trugschluss. Allein schon, weil wir den globalen Energieaufwand für ein „weiter so aber grün“ kaum und vor allem nicht im Zeitraum bis zum Erreichen kritischer Tipping Points erreichen können.

Wir stehen also vor einem Scheideweg und haben vielleicht noch kurze Zeit die Chance zu wählen zwischen einem geordneten Rückzug mit einem Herunterfahren unseres Systems, unserer Produktions- und Konsumleistungen, oder dem Zusammenbruch aufgrund zunehmend feindlicher Lebensbedingungen auf unserem Planeten. Erstere erschient mit die klügere, wenngleich extrem schwierige Lösung zu sein. Verlustfrei wird diese garantiert auch nicht ablaufen.

Es ist am Schluss also weniger eine Frage des “Was?” sondern des “Wie?”. Natürlich ist es gut, kein Fleisch mehr zu essen, Bio auf dem Erzeugermarkt zu kaufen, vegane Turnschuhe und Hosen aus Bambusfasern und T-Shirts aus recyceltem Ocean-Plastik zu tragen und nur mit dem Rad oder der Bahn zu fahren, doch am Ende geht es um etwas viel grundlegendes. Wir müssen unser Konsumverhalten ändern.

1972 erschien „The Limits to Growth“, eine Studie des Club of Rome zur Lage der Menschheit und zur Zukunft der Weltwirtschaft. Damals wurde prognostiziert, dass die Menschheit die kritische Marke von 100% ihrer verfügbaren Ressourcen bis 1980 überschreiten wird. Heute stehen wir bei 180%. Tendenz immer noch steigend.

Was also sind die Maßnahmen und Möglichkeiten, die wir als Wintersportlern bieten?

  • Boykott der Skigebiete?
  • Der Ausstieg aus dem kapitalistischen System?
  • Selbstversorgung und Verzicht?
  • Politischer Aktivismus?
  • Revolution und die Mobilisierung aller Mitstreiter und gleichgesinnter?

Wahrscheinlich läuft es darauf hinaus. 

Kommen wir noch einmal zurück zum Ausgangspunkt: Hallo Winter, wie geht es dir? Diese sentimentale Fragestellung erscheint im Verhältnis zur Tragweite der Veränderungen, mit denen wir wahrscheinlich konfrontiert werden, recht unbedeutend. Immerhin kann in Anbetracht der rapide schmelzenden Gletscher auch eine ergründende Endmoränenlandschaft ihren Reiz haben...

Ähnliche Artikel

Kommentare