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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Bauen in den Bergen

Auf der Suche nach einer neuen Alpenarchitektur

von Adrian Sauter 25.01.2021
Am Riedberger Horn

Am Riedberger Horn

Adrian Sauter
Vor etwa 20 Jahren stand ich als kleiner Junge zum ersten Mal mit meinen Eltern auf der Aiguille du Midi in Frankreich. Ohne Mühe auf 3842m Höhe hinauffahren, um wie ein Astronaut im Angesicht einer zerklüfteten und hochalpinen Landschaft zu stehen. Damals wie heute beeindruckt stelle ich mir die Frage, ob es denn unabdingbar ist, dass der Mensch auf so einfache Weise an sonst fast unerreichbare Orte kommt.

Die Westalpen sind nicht nur bekannt für hohe Berge und gigantische Skigebiete, sondern auch für ihre kuriosen alpinen Bauwerke. Nicht nur spektakuläre und moderne Alpenvereinshütten und Gipfelstationen polarisieren, sondern auch Orte wie Aime 2000, Tignes oder Avoriaz stehen für einen Umbruch zur Urbanität, wie wir sie im alpinen Raum sonst nicht kennen.

Es wird viel darüber gesprochen, möglichst nachhaltig zum Skifahren anzureisen, nicht durch den Jungwald zu fahren und seinen Müll am Gipfel wieder mitzunehmen. Doch unser ökologischer Fußabdruck zieht weitere Kreise als wir vielleicht vermuten.

Denn wer spricht schon darüber, dass die Baubranche für über ein Drittel aller weltweiten CO2 Emissionen verantwortlich ist?

Kaum ein alpiner Raum ist so sehr bebaut und besiedelt wie die Alpen. Lawinenverbauungen, Tunnels sowie Seilbahnanlagen und Brücken teilen die Landschaft, haben sie gezähmt und bis in die hohen Lagen erschlossen. Bis heute prägt eine massive touristische Infrastruktur den Alpenraum. Neben dem Rückgang der Gletscher dürfte die zunehmende Urbanisierung eine der dynamischsten Veränderungen sein, die man auf historischen Fotos im Vergleich zu heute erkennen wird. 

Man ertappt sich schnell dabei, die guten alten Zeiten zu verklären. Mit Malerei und der Macht der Fotografie ist seit dem 19. Jahrhundert eine Art Idealbild der Alpenlandschaft entstanden, das bis in alpenfernste Regionen getragen wurde. Ein Bild, dass sich bis heute kaum verändert hat und sich in Zeiten schillernder Wintersportmagazine und perfekten Instagram Posts noch extremer von der Realität unterscheidet. 

Wir Wintersportler schweben nicht nur gerne im Pulverschnee, sondern auch oft zwischen dieser Nostalgie und ihrer Veränderung. Wir schätzen die Vorteile eines gigantischen Skiverbunds mit der modernsten Gondelbahn und großen Parkplätzen, meiden gerade diese aber wieder auf Skitour auf der Suche nach einer ursprünglichen Alpenromantik mit verschneiten Almhütten und möglichst keinen Spuren von Zivilisation. Ein gedanklicher Spagat, der uns alltäglich und meist unterbewusst beschäftigt. Ein Konflikt, den jede Generation auf ihre Art und Weise führt.

In der Architektur ist die Veränderung der Dinge, wie in fast allen Bereichen des Lebens, paradoxer Weise eine Konstante. Wurde vor hundert Jahren noch über die aus der Westschweiz eingewanderte Schindelfassade geschimpft, sieht man sie heute im Bregenzer Wald und im Allgäu als etwas Selbstverständliches und Traditionelles an. Wenn um die Ecke das nächste boxenförmige, blechumhüllte Zentrallager gebaut wird, sind wir empört und meinen nicht mehr zu wissen, ob wir uns in einem Alpental oder der Peripherie einer Großstadt befinden.

Wir fachsimpeln darüber, was zeitgemäß ist und was nicht, finden manche Orte furchtbar und andere supergemütlich. Niemand will auf wirtschaftliches Wachstum und die Errungenschaften unserer Wohlstandsgesellschaft verzichten, aber es will auch keiner deren Spuren im öffentlichen Raum wahrhaben. 

Wenn Architekten in den Bergen bauen, bewegen sie sich ständig auf einem schmalen Grat und müssen sich vor allem einer ideologischen Herausforderung stellen. Auch sie sind beeinflusst von starken Bildern und der Idealisierung vergangener Baustile. Daraus folgt eine Art „Disneylandisierung“.

Großformatige, historisierende Alpenchalets und Hotelburgen haben in keiner Weise noch etwas mit dem traditionellen Vorsäß, den Almen oder Höfen zu tun, imitieren aber blind deren Erscheinungsbild. Findet dies bei so manchem und ganz besonders bei der Tourismusindustrie Anklang, folgen sie doch nur treu dem vom Kunden erhofften Bilde, wenn er in die Alpen fährt.

Am Riedberger Horn

Am Riedberger Horn

Adrian Sauter

Löst man sich also von allem Alten und baut modern und kühn, ist es aber auch nicht recht. Flachdächer stehen in der Kritik, unangemessen für den alpinen Raum zu sein. High Tech Gipfelstationen aus viel Glas und Beton freuen den Massentourist, alpine Puristen dagegen sind empört. 

Und dann sind da noch die wahren Übeltäter, die in der ganzen Schwarz-Weiß Diskussion oft vergessen werden: Boxenförmige Gebäude, die aussehen als könnten sie überall stehen. In der Stadt, neben der Stadt oder gar in einem anderen Land? Wir wissen es nicht. Doch sind diese gesichtslosen Fassaden ohne Kunst und Identität am Ende auch ein Spiegel unserer Zeit.

Man könnte meinen, das Bauen in den Bergen ist nichts Besonderes mehr. Wir lösen die Ansprüche der Umweltfaktoren wie Niederschläge und extreme Temperaturen mit dem Einsatz von Technologie. Es werden immer mehr Beton und Stahl, Dichtungen und Dämmungen sowie schwer zu recycelnde Materialien angebracht. Überall dasselbe, jederzeit bestellbar. Die Auswahl ist riesig, das am Ende Verwendete oft monoton das Gleiche. Alles ist genormt und reguliert. Auch ein Grund, warum lokale Bautraditionen und Handwerk es zunehmend schwerer haben, sich gegen diese Marktveränderung zu behaupten. 

Jammerschade, denn jahrhundertelang funktionierende Techniken wollen nicht vergessen und dilettantisch missachtet werden. Adolf Loos, ein Pionier der modernen Architektur, beschäftigte sich bereits 1912 mit der Frage des alpinen Bauens in seiner Veröffentlichung: "Regeln für den, der in den Bergen baut":

"Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten."

Eine bodenständige Empfehlung für jemanden, der eine ganze Generation an Planern beeinflusst hat mit der Aussage, Ornament sei ein Verbrechen. 

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Die Bergwelt sahen die Menschen meist als schmucklos, frei von Ornamentik und eher puristischer Natur. Ein Grund, warum durch warme Materialien und künstlerisches Handwerk vor allem im Innenausbau früher wie heute die Gemütlichkeit einen hohen Stellenwert hat. Sie ruft bei uns nostalgische Assoziationen auf, genauso wie das Satteldach für uns zum Inbegriff alpenländischer Kulisse geworden ist.

Apropos Gemütlichkeit: Die Verbesserungen im Wohnkomfort sowie die Energieeffizienz unserer Gebäude sind vor allem in den widrigen Bergregionen sehr zu begrüßen. Aber sind die Schnelllebigkeit und der gleichzeitig hohe Ressourcenverbrauch unserer Gebäude nicht eher eine Verschlechterung im Vergleich zu früher? Müssten wir uns nach Adolf Loos’ Zitat dann nicht eher auf das Alte besinnen?

Lange Zeit waren Holz, Stein und Kalkputz die am meisten verbreiteten Baumaterialien. Sie waren in den entlegensten Alpentälern einfach verfügbar und leicht zu verarbeiten. Mit einem Sockel aus Stein wurde die darauf liegende Holzkonstruktion angehoben, um sie so vor Schnee und Feuchtigkeit zu schützen. Ein geneigtes Dach mit großzügigem Überstand schützte die Fassade von oben. Relikte dieser banalen aber raffinierten Bauart können wir auf Skitour wunderbar an den vielen Almen sehen. Sie stehen noch heute und wurden mit einfachsten Mitteln errichtet.

Eine nachhaltigere Architektur in den Alpen wäre nicht so schwer. Anstatt lokales Holz aus der Forstwirtschaft nur in Pellet-Werken zu verheizen, könnte man es verstärkt dem mehrgeschossigen Holzbau zuführen. Holz bindet im Wachstum 1 Tonne Kohlenstoff pro Kubikmeter. Eine gute Sache, wenn es gebunden bleibt und nicht verrottet oder verbrannt wird. Holzgebäude können, wenn sie lange bestehen, über Jahrhunderte CO2-Speicher bleiben. Ein simpler Trick, mit dem man signifikant die Klimaerwärmung entschleunigen könnte. Noch dazu sollten wir lokale Rohstoffkreisläufe und deren Rückführung nutzen. Anstatt ortsfremde Großunternehmen, die nach festgefahrenem Schema arbeiten, Hand anlegen zu lassen, sollte man ortsansässige, kleine und mittelständische Betriebe einbinden. Der Schindelmacher, Schreiner oder Zimmermann nebenan freut sich sicher über einen Auftrag und ist auch offen für Innovation. Nachhaltig bauen heißt auch, Räume zu schaffen, die uns lange von Nutzen sind. Die eine menschliche Größe haben, Orte an denen wir uns wohl fühlen. So beeindruckend Star-Architektur sein kann, die Show werden sie den Bergen drumherum nicht stehlen können.

Und ein letzter wichtiger Punkt: wir sollten unseren Gebäudebestand reaktivieren und neu entdecken. Wir sollten bei Leerstand und Verfall von alten orts- und landschaftsprägenden Gebäuden eine kulturelle Verantwortung empfinden und versuchen, deren Fortbestehen zu sichern. Wir können viel von ihnen lernen, anstatt nebenan einfach nur mehr Fläche zu versiegeln. In der Schweiz werden zum Beispiel immer mehr Heuhütten vom Staat an Privatleute verkauft, welche sie aufwändig restaurieren und als Feriendomizil oder als Wohnsitz nutzen. Welche sozialen und ökologischen Fragestellungen das mit sich bringt, sei dahingestellt. Leerstände aufgrund fehlender Nutzung oder saisonal leerstehender Ferienwohnungen sind für viele Gemeinden eine Herausforderung.

Mit einer fortschreitenden Digitalisierung und dem durch Corona verstärkten Trend zum Home-Office wird immer öfter standortunabhängiges Wohnen und Arbeiten möglich sein. Möglicherweise mit den Bergen direkt vor der Haustüre, denn auch das hat die Pandemie gezeigt: Naherholung ist ein hohes Gut in Zeiten von Lockdowns und Reisebeschränkungen. Dies könnte in Zukunft zu einem wachsenden Druck auf attraktive Regionen führen, kann aber auch als Chance für eine Wiederbelebung gesehen werden. Nicht nur für ansässige Berufsgruppen und Firmen, die nicht mehr zum Abwandern in Ballungsräume gezwungen sind, sondern auch für Zuzüge, die neues Leben, Innovation und urbane Einflüsse in strukturschwache Regionen bringen können.

Warth

Warth

Adrian Sauter

Auf Skitour achten wir auf viele Dinge: Die Lawinengefahr, die Gruppendynamik, aber auch die beste Abfahrt, die tolle Aussicht oder verwickeln uns in lebhafte Diskussionen. Ich möchte jeden ermutigen, auch einmal auf etwas ganz anders zu achten: Schaut auf die Schutzhütten, die Almen und die Seilbahnstationen, die Hotelburgen, die Dorfkerne und die Städte in den Alpen. Seht euch unsere gebaute Umwelt genau an. Man ist überrascht, welche spannende Geschichten sie über sich und über uns erzählen, sie sind Hinterlassenschaften, Zeitzeugen und zeitgemäße Infrastruktur zugleich. Bewertet sie nach persönlichen Maßstäben. Und lasst sie uns bewusster erleben, auswählen und mitbestimmen.

Ob in der heutigen Zeit eine kühne Felsnadel wie die Aiguille du Midi erschlossen werden würde? Ich bin mir nicht sicher. So hat der Zeitgeist bei allen Errungenschaften der Bautechnik zumindest ein wenig mehr Achtsamkeit und Vernunft einkehren lassen. Aber ob Unvernunft nicht manchmal auch aufregend ist?

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