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Safety-Themen

Der schlimmste Freeski-Tag meines Lebens – riesige Lawine in Andermatt

Die Beinahe-Lawinenkatastrophe – der schlimmste Freeski-Tag meines Lebens

von Aaron Vogel 19.10.2008
Ein Traumtag in Andermatt

Ein Traumtag in Andermatt

Nicola Beck
Andermatt, Schweiz
Aron Volgel
Alles deutete auf einen perfekten Tag hin. Seit Ende Januar verfolgte ich die täglichen Lawinenlageberichte des SLF und die Wetterberichte für das Gotthardgebiet. Nach den starken Schneefällen und den massiven Winden war mir klar: Warten auf Entspannung!
Ein Traumtag in Andermatt

Alles deutete auf einen perfekten Tag hin. Seit Ende Januar verfolgte ich die täglichen Lawinenlageberichte des SLF und die Wetterberichte für das Gotthardgebiet. Nach den starken Schneefällen und den massiven Winden war mir klar: Warten auf Entspannung!  Am 03.02.05, um 17°° Uhr erschien der LLB: Lawinengefahrenstufe 3. Es wurde vor massiven Schneeverfrachtungen gewarnt, und dass die Triebschneeansammlungen schlecht erkennbar seien. Dem Wetterbericht konnte man entnehmen, dass im Urserental Winde aus ONO geweht hatten. Ich haderte kein bisschen. Das Gebiet um den Gemsstock kenne ich gut, so dass trotz der gemeldeten Lawinengefahrenstufe ausreichend Freeride-Möglichkeiten offen standen; solange man sich eisern an die Regeln hielt:

  • Felsdurchsetzte Hänge sind tabu;
  • Extreme Steilhänge sind tabu;
  • Hangexposition wegen dem Triebschnee beachten – in diesem Fall WSW meiden. 

Oli, mein Wegbegleiter, sollte einen fetten, ersten Freeridetag erleben. Ich wollte ihm zeigen, was mich am Spiel mit dem weißen Kleid der Berge fasziniert – und süchtig macht. Mit anderen Worten, ich hatte die Verantwortung zu tragen. Der ganze Tag verlief sehr gut. Wir hielten Entlastungsabstände ein und machten Treffpunkte an sicheren Geländepunkten aus. Der einzige kleine Wehrmutstropfen waren die vielen Spuren im Talboden aber das konnten wir verschmerzen.
Es passierte kurz nach 14°° Uhr. Wir entschlossen uns, noch mal durch das Felsental zu fahren. Wir wollten noch einmal das schöne, verspielte Gelände im Talboden nutzen. Wir planten von der Sonnenpiste aus ins Felsental einzusteigen. Erster Fehler!, der sich bereits zum zweiten Mal an diesem Tag wiederholte. Es ist ein WSW exponierter Hang, der bei oben genannten Gegebenheiten voller Triebschnee war, d.h. bereits NO GO! Zweiter Fehler!, nahe am Hangfuss befindet sich ein felsdurchsetzter, über 40° steiler Bereich: ebenfallsNO GO! Ich sah jedoch keine Anzeichen von Windaktivitäten, die mich beunruhigen sollten, keine Dünen o.ä. Die Hangneigung und Exposition hatte ich bereits vergessen. Außerdem waren etliche Spuren zu sehen und als wir zum ersten Mal hier runter gefahren sind, machte der Schnee keinen windverfrachteten Eindruck.
Wie gesagt, es war kurz nach 14 Uhr und die Sonne schien bereits seit zwei Stunden auf die Schneedecke. Zum dritten Mal: NO GO!

Das waren die Tatsachen … 

Ich war von der Schönheit der Umgebung geblendet. Ich träumte bereits: Dorthin sollte Oli seinen Spray-Turn hinziehen und ich mache ein Bildchen; das war der Plan! Außerdem war da noch Powder. Fett! Wir bogen von der Sonnenpiste ab und besprachen wie alles durchgeführt werden sollte. Oli ging vor der Aktion kurz für kleine Jungs, so dass ich in der Zwischenzeit eine gute Stelle suchte um von da aus zu fotografieren. Alles schien klar. Kamera bereit, Bildausschnitt gewählt, Oli in 10 Sekunden bereit. In diesem Augenblich schießen zwei Skifahrer in den Hang. Der Erste, mit blauer Jacke, macht fette schöne Turns (Ich genieße den Anblick!) und befindet sich kurz vor der Geländestufe mit den kleinen Cliffs, als der Zweite, mit roter Jacke, ebenfalls in tollem Stil in den Hang fährt. Bei seinem zweiten Turn erklingt ein kurzes Ratschen, etwa wie trockenes Geäst und der gesamte Hang setzt sich in Bewegung. Ab hier überschlagen sich die Ereignisse, alles läuft in Zeitraffer ab. Ich kriege noch ein ohrenbetäubendes "AVALANCHE!!!" aus meiner Kehle. Der Rote dreht sich um, sieht was geschieht, brüllt ebenfalls seinem Kumpel etwas zu (es klang Skandinavisch) und versucht zwischen den immer schneller werdenden Schollen den Rand der Lawine zu erreichen. Der Blaue hingegen setzt die Ski gerade und verschwindet, über die Geländekante schießend aus meinem Blickfeld. Ich bin wie versteinert, verfolge jedoch den Roten bei seinem Kampf aus der Lawine. Sollte er es nicht packen, kann ich mir wenigstens den Verschwindepunkt einprägen. Ich weiß nicht wie, aber er schafft es, sich zwischen den Felsen festzuhalten. Während das Schneebrett mit, einer Breite von gut 150 m in richtung Talboden rast, hüte ich mich davor, mich zu bewegen. Keine Ahnung wie’s kommt, aber da ich die Kamera in den Fingern halte, drücke ich einfach ab. Ich drehe mich unverzüglich um und rufe Oli zu: "Wir müssen den Blauen suchen gehen!" Ich hatte ihn nach dem Verschwinden über der Stufe nicht mehr gesehen. Um den Berg fahrend, finden wir einen Platz von dem man ungefährdet den enormen Lawinenkegel überblicken konnte. In dem Augenblick sichten wir eine Gruppe von drei Personen die den Hang hinaufstarren und neben dran stehend einen einzelnen Skifahrer. Die Jackenfarbe ist nicht auszumachen! Wir brüllen herunter und fragen wo die Beiden sind. Klar, ich sah den Roten in Sicherheit, aber wer weiß, ein weiterer Anriss hätte ihn erwischen können. Nach mehrmaligem hin und her, schreit der Skifahrer zurück: „There is nobody in the avalanche!” Auf dem Weg zur Gruppe merke ich, dass es der Blaue ist und bin erleichtert, zu erleichtert. Das Schneebrett war nämlich derartig groß, dass die Schneemassen im Talboden über eine weitere Geländestufe geflossen sind. Weder vom Ausgangspunkt, noch von der zweiten Beobachtungsposition konnte dieser Bereich eingesehen werden.


Wie Oli die Situation erlebte  

[Text von Oliver Burde] 

Illusion und Realität zu erkennen ist eine Aufgabe, der wir mit Verstand begegnen müssen. In Anbetracht der Schönheit unberührter Powderhänge ist überlebenswichtig diese Ratio aufzubringen. Zu leicht tappen wir sonst in die Falle: Schönheit mit Harmlosigkeit gleichzusetzen. Deshalb muss jedem emotionalem Gleitflug in die traumhafte Powderwelt eine sachliche Risikoanalyse vorausgehen. Dafür ist es irrelevant, wie viele Spuren bereits im fraglichen Hang vorhanden sind – diese als Sicherheitsaspekt zu werten, kann ein verheerender Fehler sein … Es war bereits unsere dritte Abfahrt durchs Felsental an diesem Tag. Wieder bogen wir vom Ziehweg der Sonnenpiste ab und suchten unsere PowPow-Felder. Diesmal wollten wir im oberen Bereich ein paar Fotos schießen. Aron fuhr ein Stück voraus und platzierte sich um meinen geplanten Spray-Turn optimal abzulichten. Auf sein Zeichen hin wollte ich losfahren, Speed aufnehmen, in den Hang reinqueren und unterhalb einer kleinen Wächte sollte es sprayen. Ich bekam das Zeichen. Ein letztes durchecken und ... Scheisse, ich musste nochmal pissen! Also Handschuhe wieder ausziehen, und ab dafür. Derweil fuhren zwei Skifahrer an mir vorbei. Ich schaute ihnen nach. Sie schossen gleichzeitig an Aron vorbei, in den von mir anvisierten Bereich. Plötzlich bewegte sich der ganze Hang und ein gigantisches, sofort in tausend Schollen zerbrechendes Schneebrett rutschte gen Tal. Ich staunte und mein ästhetisches Auge war beeindruckt, mein Verstand schrie sofort: ALARM! Noch bevor ich meine Hose zu hatte, war der komplette Powderhang über die nächste Felsstufe verschwunden und die Skifahrer nicht mehr zu sehen. Ich fuhr zu Aron ab, der keine zehn Meter neben dem Geschehen stand. Er hatte gesehen, dass sich der obere der beiden Skifahrer zur Seite aus den schneller werdenden Schneemassen herausarbeiten konnte, der Zweite war nicht zu sehen. Wir befürchteten das Schlimmste und machten uns sofort daran abzufahren. Doch auch der untere Skifahrer konnte sich retten und wurde nicht verschüttet. 

Wir hatten alle Glück!

Ich bin natürlich froh, dass die beiden Skijungs heil rausgekommen sind und mir ist klar, dass mein Erleben im Vergleich zu deren Höllentrip harmlos war. Trotzdem geistert die Frage nach meinem Schicksal hemmungslos durch meine Gehirnwindungen und durch jede Faser meines Körpers. Die Tatsache, dass ich pinkeln musste, hat mich vor weiß der Geier welchem Schicksal bewahrt und wirft Fragen auf, vor denen mein Verstand kapituliert. Ist es Fügung oder Zufall, was uns widerfährt oder haben wir ein inneres Warnsystem, das uns unbewusst zu Handlungen zwingt, die uns vor potentiellen Gefahren schützen sollen? Hatte ich verdammtes Glück oder einen Schutzengel? – Ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, dass ich mich einmal mehr mit Demut vor dem Leben und mit Respekt vor der Natur verneige. Und ich weiß, dass ich aus unseren Fehlern lernen werde, ja lernen muss. Es ist meine Pflicht, mich und andere nie wieder leichtfertig in eine solche Situation zu bringen, wenn das mit der Demut und dem Respekt nicht bloß schöne Worte sein sollen.

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