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Abenteuer & Reisen

Fjordskifahren in Norwegen

Skitourenreise mit einem Zweimaster namens ‚Maud’ – Unterwegs im Norwegischen Hjørundfjord

07.04.2015 von Totti Lingotti
Es handelt sich zwar nicht um das legendäre Schiff des Norwegischen Entdeckers Roald Amundsen, mit dem dieser Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts die Nordostpassage durchfuhr. Aber der Zweimaster heißt eben auch ‚Maud’: ‚Maud of Ålesund’. Seinen Stapellauf erlebte das kleine Fischerboot ein Jahr nachdem das berühmte Original 1930 auf der amerikanischen Seite des Atlantiks vom Packeis eingeschlossen wurde, und sank. Ein bisschen fühle ich mich trotzdem wie der große Polarforscher als der Bug der ‚Maud’ sich am frühen Morgen seinen Weg durch die dünnen Eisplatten durch die Meerengen um Ålesund bahnt.

Ålesund gehört zu den wichtigsten Fischereihäfen in Norwegen und liegt spektakulär schön gelegen über mehrere Inseln verteilt im Westen des Landes. In der Innenstadt fallen sofort die vielen gut erhaltenen Jugendstil-Häuser auf, die mehr an deutsche Altstädte erinnern als an eine norwegische Fischerstadt. „Schuld“ daran ist die Norrwegen-Begeisterung des deutschen Kaisers Wilhelm II. und ein Großbrand Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Gönnerisch bot er seine Hilfe an und ließ das Zentrum im Stil steinerner Jugendstil-Häuser wieder aufbauen. Eines dieser Häuser wurde stilvoll zum Hotel Brosundet umfunktioniert. Quasi aus dem Bett fällt man direkt auf die am Quai liegende ‚Maud’: Und wird vom Skipper und Skitourenguide Arne Fagerhaug mit einem breiten Grinsen begrüßt – obgleich es viel zu früh, viel zu dunkel und viel zu kalt ist. Das scheint aber nur die Deutschen Gäste zu grämen.

Wie es sich für einen echten Seefahrer gehört, hat er natürlich nicht im schicken Hotel übernachtet, sondern in der viel zu kleinen, eisig kalten Kajüte unter Deck. „Es gibt doch nichts Schöneres als vom Meer in den Schlaf geschaukelt zu werden!“ sagt Arne, der fraglos einer von denjenigen Norwegern ist, die sich vor allem draußen aufhalten – egal bei welchem Wetter. Seit fast 40 Jahren erkundet er sommers wie winters die Fjorde und Berge rund um Ålesund. Von seinem Vater wurde er im zarten Alter von 12 Jahren das erste Mal zu einer Skitour mitgenommen. Zu einer Zeit, als in der Gegend höchstens ein paar Dutzend Leute an Skibergsteigen gedacht haben. Besonders der Hjørundfjord und die Sunnmøre Alpen haben es ihm angetan. Vor einigen Jahren hatte er dann zusammen mit seinem Kumpel Stein Magne die Idee dessen altes Schiff ‚Maud’ – umfunktioniert zum Fischkutter – auch für Wander-, Kletter- und Skitourentrips einzusetzen. Bei einem Glas Wein wurde das Unternehmen ‚ACTIN your adventure’ gegründet. Angenehmer Nebeneffekt der Zusammenarbeit: Jeden Abend gibt es für die Gäste frisch gefangenen Fisch, zubereitet auf dem Grill direkt vor der Hütte- Denn Stein Magne frönt tagsüber seinem Hobby und angelt im Fjord während sich Arne mit den Gästen in den Bergen austobt.

Auf dem Bug eines so alten Holzschiffes zu sitzen und sich über die anschließende Skitour Gedanken zu machen, hat schon seinen besonderen Reiz – mitunter allerdings erstmal nur den Reiz des eisigen Windes. Selbst in alle Kleidungsschichten eingepackt, die der Skitourenrucksack hergibt, lässt sich das Frühstück auf Deck nicht richtig genießen. Die beißenden Minusgrade kombiniert mit dem bekannten Wind auf See bahnen sich auch ihren Weg durch Dreilagen-Gore-Tex, Daune, Primaloft und Merinowolle. Aber wer will sich das bei einer solchen Aussicht der umliegenden Gipfel schon eingestehen und unter Deck gehen?

Nach einer guten Stunde Fahrt erreicht die ‚Maud’ den Hjørundfjord und landet kurz darauf in Saltre an. Mit viel Routine manövriert Arne das Schiff an den Steg. Nur zwei einfache Häuser stehen hier. Zwei ältere Einheimische schieben die Gardinen auf die Seite und werfen einen skeptischen Blick in Richtung der nahenden Touristen. Der Fjord wird schon seit Jahrhunderten bewohnt, aber an Skitouren hat hier lange Zeit keiner gedacht. Viel zu gegenwärtig sind die Gefahren, die von den ehrfurchterweckenden steilen Bergflanken drohen. Viel zu gegenwärtig sind die tragischen Unglücke, die immer wieder passiert sind. Wie zum Beispiel Anfang der Siebziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts als sich 12 starke Männer auf die Suche nach zwei verschollenen Ziegen machten. Die Ziegen konnten sie in einer der unzähligen Lawinenbahnen finden, aber zwei verheerende Lawinen rissen den Großteil der Gruppe mitsamt der Ziegen Richtung Meer. Kaum einer von ihnen überlebte. Oder der Untergang des Boots, das ein Viertel Jahrhundert  zuvor, nahe am Ufer, mitsamt seiner Ausflugsgäste – einer kompletten Familie, die sich auf dem Heimweg einer Familienfeier befanden – von einer großen Lawine überrascht und in die Tiefe gerissen wurde.

Bis heute leben nur ein paar Dutzend Familien an den Ufern des Hjørundfjords. Kein Wunder, dass die älteren Bewohner so viel Respekt vor den Bergen haben und mit anfänglichem Unverständnis gegenüber Skitourengehern reagieren. Nichtsdestotrotz öffnen sie neugierig die Fenster, freuen sie sich über den unerwarteten Besuch, erkundigen sich nach dem Wohlbefinden und wünschen viel Erfolg beim Bergabenteuer. Offen, herzlich und entspannt wie die Norweger meistens sind. Frohen Mutes macht sich die Gruppe auf den Weg zum ersten Gipfel. Bis zu einer Höhe von zweihundert Metern müssen die Skier noch an den Rucksack geschnallt werden, da es im April oft schon nicht mehr bis an den Fjord schneit. Dafür verspricht Arne beste Schneebedingungen in höheren Lagen.

Hoch sind die Berge im Vergleich zu den Europäischen Alpen nicht, aber man läuft während der längsten Zeit des Winters direkt auf Meeresniveau los. Insofern stellen die 1092 Meter der ‚Schweinespitze’ (Norwegisch: Svinetind) ein gutes Akklimatisierungsziel dar. Trotzdem wird die Tour nach einer schnellen Abfahrt zum gefrorenen Storevatnet-See spontan noch um einen zweiten Gipfel, den Rametinden, erweitert. Und Arne hat nicht zu viel versprochen: Die Abfahrten haben es durchaus in sich und der Schnee erinnert eher an kanadische Verhältnisse als an Aprilskitage in den Alpen. Der tolle Schnee ist ein angenehmer Nebeneffekt der nördlichen, pol-nahen Lage. Ebenso wie das lang anhaltende Tageslicht – schon Mitte April geht die Sonne erst um ca. 20 Uhr 30 unter und der Tag bietet unglaubliche 14 Stunden zum Austoben in den Bergen.

Zurück auf der ‚Maud’ werden die Leinen gelöst und Arne überrascht mit Norwegischer Tradition und gelebter Lässigkeit: Direkt an der Reling des Holzschiffes wird ein Grill montiert! Der kalte Fahrtwind facht die Glut schnell an und in Kürze brutzeln Lachs und die selbstgemachten Hirschbratwürste, die er von den beiden Einheimischen in die Hand gedrückt bekommen hat. Schon jetzt wird klar, warum Kaiser Wilhelm zu einem Norweger-Liebhaber wurde. Je weiter es auf dem Weg nach Sæbø hinein in den Hjørundfjord geht, umso höher und steiler werden die angrenzenden Berge – bis zu 1600 Meter hoch sind die Gipfel nun. Nach dem Anlanden beziehen wir unsere Unterkunft direkt am Wasser in den urigen Holzhütten des Sagafjord Hotels. Grasbewachsene Dächer und dicke Holzwände sorgen für die richtige Isolierung – zum Teil schon seit über 200 Jahren. Wie immer war Stein Magne erfolgreich angeln und der frische Fisch wird vor dem offenen Kamin serviert. Anschließend wird bei einem Glas Wein die Tour für den nächsten Tag besprochen. Diesmal geht es mit dem Auto zum Startpunkt nach Kvistadsætra.

Aber bereits auf 200 m Seehöhe ist die Fahrt vorbei, weil bereits zu viel Schnee zum Weiterkommen liegt. Ab hier ist es noch ein Sechs-Kilometer-Marsch bis zum Gipfel des Skårasalen – mit 1542 m schon einer der höheren Berge in den Sunnmøre Alpen. Die Anstrengung wird mit einem grandiosen Blick entlang des steil abfallenden Kvistadkjerringane-Grates und hinunter zum Fjord belohnt. Nun wird auch klar, warum Arne die Besteigung von der Westseite empfohlen hat: In Skår holt uns Stein Magne dann wieder mit der ‚Maud’ ab, da wir fast bis zum Wasser abfahren können! Richtung Osten führt das Tal des Litle Skåradalen direkt an den Fjord. Die Abfahrt bietet tolles, und durchweg steiles Gelände, welches jedes Skifahrerherz höher schlagen lässt. Lediglich der kurze Fußmarsch zur Anlegestelle in Skår kann zum Problem werden, falls man nicht schnell den schmalen Pfad findet, auf dem man mehrmals den Bach überqueren muss. Schnell passiert es, dass man rücklings im eiskalten Wasser landet. Einziger Vorteil: Sowieso schon durchnässt fällt die Entscheidung für einen Sprung von der Reling der ‚Maud’ ins (eher) kühle Nass des Fjords nicht mehr so schwer …

Es waren Ausländer, die das große touristische Potential der Region erkannten. Wieder mal waren die Engländer die Ersten, die als Berg- und Skitouristen in die Sunnmøre Alpen kamen. Vor allem der Schotte C.W. Patchell hinterließ seine Spuren. Er errichtete um 1920 die bekannteste Hütte Norwegens: die Patchellhytta gleich unterhalb des beliebten Gipfels des Slogens – der erklärte Lieblingsberg von Königin Sonja von Norwegen. Jedoch besteigt sie den Gipfel ausschließlich im Sommer. Kurz vor der Ankunft in Sæbø dreht Arne eine Extra-Schleife damit der imposante Gipfel ins Sichtfeld gelangt. Schließlich soll dies das ambitionierte Ziel am letzten Tag werden. Der Gipfel des Slogen (1564 m) befindet sich nur einen Kilometer Luftlinie entfernt vom Ufer des Fjords und seine beeindruckende Südwestwand fällt 1000 Meter senkrecht ab. Nicht umsonst wird der Ausblick als ‚königlich’ beschrieben. Allerdings werden jetzt erstmal der frische Fisch, das knisternde Kaminfeuer und die Norwegische Gelassenheit genossen …

Informationen zum Skitourengehen im Hjørundfjord und den Sunnmøre Alpen

Beste Jahreszeit: Februar bis Mai (meist liegt bis weit in den Juni in den höheren Lagen noch Schnee)
Ski- and Sailtrips: ACTIN your adventure
Unterkunft:Hotel Brosundet,  Hotel Sagafjord
Visit Norway:Tourismuszentrale von Norwegen
Fjord Norway: Tourismusverband der Fjordregionen
Online-Kartenmaterial (von ganz Norwegen)
Wetterinformationen (für alle Regionen in Norwegen):  Meteorologisk Institutt

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